24 Stunden dauert ein Dienst auf der ASB-Rettungswache in Burscheid. Das bedeutet für die Retter oft einen ganzen Tag und eine Nacht lang viel Warten und wenig Schlaf, berührende Schicksale und manchmal große Emotionen.
Odenthal um 6 Uhr 20 morgens: Blass, aber gefasst tritt die Frau aus dem Eingang ihres Einfamilienhauses heraus und schreitet gemächlich zum Rettungswagen. Sie zieht einen Rollkoffer hinter sich her. Ihr Mann folgt ihr still, doch die Anspannung ist beiden anzumerken. Die letzten Stunden waren nicht leicht, aber sie wirken vorbereitet. Sie wechseln ein paar Sätze mit dem Notarzt, dann steigt sie vorsichtig die Stufen ins Fahrzeug hinauf und begibt sich auf die Liege. Der RTW fährt los, gefolgt von ihrem Mann im Privatwagen. Ziel ist die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum Leverkusen. Bei ihr ist Notfallsanitäter André Dürrast. Die Mittdreißigerin erzählt ihm, dass sie es mit der Angst zu tun bekommen habe, als bei ihr eben die Wehen eingesetzt hätten und es zu einem Abgang von Gewebeteilen gekommen sei. Schließlich dauere ihre Schwangerschaft erst sieben Monate. „Es sah aus wie ein Stück Leber“, beschreibt sie leise, was ihr widerfahren ist. Viel mehr als den Blutdruck kontrollieren kann Dürrast während der fünfzehnminütigen Fahrt nicht. Aber es reicht, dass er da ist und zuhört, Verständnis zeigt, Sicherheit gibt. Auf der anderen Seite der Trennscheibe steuert Rettungssanitäter Robin Ohlow routiniert und zügig den Mercedes Sprinter durch den einsetzenden Berufsverkehr – jetzt zum fünften Mal während dieses Dienstes zum Leverkusener Krankenhaus. Blaulicht und Martinshorn machen den Weg frei. An der Notaufnahme angekommen, wird die Liege mit der Patientin entladen und nach oben auf die Station gebracht. Der Nachtdienst nimmt die Frau mit müden Augen in Empfang und bringt sie in ein freies Zimmer. „Alles Gute und einen schönen Tag noch“, heißt es knapp zur Verabschiedung. Klinikalltag.
Einfach mal ein Danke
„Kein großer Einsatz, eher ein Patiententransport für ganz viel Fingerspitzengefühl“, ordnet Dürrast, der diesen Beruf seit 18 Jahren schon ausübt, den letzten Notruf ein. Er riss das Gespann in der 22. Stunde ihres Dienstes aus dem Schlaf und schickte es nochmal auf die Straße. Auf der Rettungswache ist die ausgeschlafene Ablösung schon eingetroffen, die Kaffeemaschine läuft, noch immer ist es dunkel an diesem Nieselregenmorgen Mitte November. Allmählich weicht die ständige Alarmbereitschaft und die beiden Männer können loslassen. Was aus der Frau und ihrem ungeborenen Kind wohl werden wird? „Rückmeldungen zu unseren Patienten erreichen uns so gut wie nie, außer wir fragen aktiv nach, aber das ist aus Datenschutzgründen auch nicht so einfach“, erklärt Ohlow, was von so einer Fahrt bleibt, an die sich die Frau wohl ein Leben lang erinnern wird. Jeden Einsatz gedanklich mit nach Hause nehmen, das gehe wirklich nicht, sonst würde die psychische Belastung in diesem Beruf schnell zu groß werden, sagt Dürrast. „Aber, wenn es wirklich mal heikel war, erkundigen wir uns schon im Krankenhaus, was aus den Leuten geworden ist.“ Und hin und wieder kämen Patienten im Nachgang auf einen zu, um einfach mal Danke zu sagen, so der erfahrene Sanitäter aus Wiehl. „Das geht immer runter wie Öl und man weiß, man hat alles richtig gemacht.“
Das Einzugsgebiet der ASB-Rettungswache Burscheid besteht aus dem nördlichen Rheinisch-Bergischen Kreis und der Stadt Leverkusen. Die Wege in der teilweise noch ländlich geprägten Region zu den wenigen Krankhäusern sind lang. Fahrten von 20 bis 30 Minuten Dauer mit den Patienten sind keine Seltenheit. „In Köln zum Beispiel gibt es an jeder Ecke ein Krankenhaus, dementsprechend schnell ist man als RTW am Ziel“, erläutert der 22-jährige Lindlarer Ohlow die Vorzüge einer Großstadt. Dafür seien die medizinischen Anforderungen auf dem Land höher, denn es gelte, Notfallpatienten über längere Zeiträume stabil zu halten. „Mir gefällt das besser, wir haben mehr Verantwortung und können uns stärker als Sanitäter einbringen, sind nicht bloß Fahrer von A nach B“, ergänzt sein Kollege Dürrast.
Als der große Regen fiel
Medizinisches Know-how und außergewöhnliche Fahrkünste waren in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli gefragt. Die große Flut bewegt die Besatzung der Rettungswache auch noch vier Monate später. Unzählige Einsätze in weiten Teilen des Bergischen Landes, teils unter Lebensgefahr, brachte diese für die ASB-Retter mit sich. „Alles ging sehr schnell, als das Wasser stieg. Wir sind meistens nur auf Sicht gefahren, stellenweise waren die Straßen und Wege, über die wir zum Einsatzort gelangt sind, plötzlich überflutet und weg“, berichtet Kristin Schuhmann über den Dienst, an den sie noch oft mit Grauen denkt. „Es war teilweise wie im Krieg und wir hatten keine Ahnung, wann es endet.“ Für die junge Notfallsanitäterin ging der Einsatz ihres Lebens bis zur totalen Erschöpfung. Der große Zusammenhalt unter den Kolleginnen und Kollegen habe jedoch geholfen, die vielen schlimmen Bilder zu verarbeiten. „Ohne das gute Klima unter uns und das gegenseitige Aufbauen wäre es vermutlich schwierig, weiterzumachen. „Aber das ist das ganz Besondere hier. Jeder ist für den anderen da.“ Doch solche Extremsituationen blieben zum Glück die Ausnahme, denn meistens gehe es eben nicht um Leben und Tod, so Schuhmann.
So wie für die ältere Dame in Burscheid. Als die Sanitäter abends eintreffen, sitzt sie schon im Mantel auf dem gepackten Koffer. Ihre Hausärztin hat ihr bereits am Mittag eine Krankenhauseinweisung ausgestellt, aber nun am späten Abend hat sie sich dazu entschlossen, die 112 zu wählen. Obwohl sie Schmerzen erwähnt, ist sie sichtlich nicht in Not, läuft in der Wohnung umher, erledigt noch einige Handgriffe im Haushalt und gibt ihrer anwesenden Tochter Anweisungen. Sie nennt auch ein Wunschkrankenhaus als Fahrtziel. Die Fragen, warum sie sich nicht tagsüber auf eigene Faust in die Klinikbehandlung begeben hat oder sie ihre Tochter nicht einfach hinfährt, liegen auf der Zunge, doch das verkneift man sich. „Natürlich war es Unsinn, daraus einen Notfall zu machen. Aber es bringt nichts, zu meckern“, so Ohlow. Denn wenn es dann mal wirklich brenne, trauten sich die Patienten dann nicht mehr, den Notruf zu wählen. „Das ist dann ziemlich kontraproduktiv.“
Häusliche Gewalt in Odenthal
Mitternacht und wieder zurück in Odenthal: Diesmal hat die Polizei gerufen. Häusliche Gewalt: Ein kräftiger Mann spricht mit den Beamten und fährt mit seiner Reisetasche im PKW davon. Zehn Tage lang muss er jetzt woanders unterkommen. Sie haben ihn aus der Wohnung verwiesen und leuchten mit Taschenlampen den Weg in die Dunkelheit, bis das heruntergekommene Häuschen plötzlich im Lichtkegel erscheint. Die Frau sitzt im Bett und starrt ins Leere. Ihre Tochter erzählt ausführlich, dass die Prellung am Arm ihrer Mutter von einem Handy stamme, das auf sie geworfen worden sei. Ihr Bericht klingt wie von einer kleinen Erwachsenen erzählt. Und dass die Mama seit drei Jahren immer schlimm Kopfschmerzen habe. Man gewinnt eine flüchtige Ahnung, welche Probleme auf der Familie lasten – gerade auf dem Mädchen. Die auffällige Brandverletzung an ihrer Hand habe sie sich in der Schule geholt, weiß die etwa Zehnjährige zu berichten. So bedrückend diese Situation für die Retter auch ist, das ist kein Anlass für eine Fahrt ins Krankenhaus – was die Frau sowieso ablehnt. Nach einem prüfenden Blick auf den leicht verletzten Arm empfiehlt man, am nächsten Tag einen Arzt aufzusuchen und verlässt ratlos das Haus.
Was letztlich bleibt von diesem langen Tag: insgesamt sieben Einsätze, darunter zwei intensivere mit Notarztbegleitung und knapp fünf Stunden Schlaf. Ein geruhsamer Dienst ohne besondere Vorkommnisse, resümieren Ohlow und Dürrast, bevor sie sich umziehen und nach Hause fahren. Schon in wenigen Tagen stehen für die beiden die nächsten 24 Stunden an – um einen Tag zu retten.