Sirenen für Beyenburg

Ein halbes Jahr nach der Flut liegt in Beyenburg noch vieles im Argen. Der ASB unterstützt jedoch weiterhin die Betroffenen im Wuppertaler Stadtteil.

KatastrophenschutzRV Bergisch Land

Der Wuppertaler Stadtteil Beyenburg ist besonders schwer von der Flutkatastrophe betroffen. Sechs Monate später sind die schlimmsten Spuren zwar beseitigt, doch vor der Rückkehr zur Normalität liegt noch ein weiter Weg.

An guten Tagen ist Beyenburg ein bergisches Ausflugsidyll mit kleiner Talsperre, Klosterkirche und vielen schieferverkleideten Fachwerkhäusern an der Wupper. Hier zu wohnen, davon träumen viele. Aber an diesem verhängnisvollen 14. Juli wird der kleine Fluss für die Anwohner zum Alptraum.

„Dass wir „nur“ schwere Sachschäden zu beklagen hatten, gleicht einem Wunder“, erzählt Christopher Katz. Der Fluthilfe-Koordinator des Arbeiter-Samariter-Bundes Bergisch Land e.V. führt gemeinsam mit Oberstabsfeldwebel Arne Aust durch die engen Gassen und zeigt das Ausmaß der Schäden. Viele Menschen nicken den Beiden bei ihrem Rundgang zu und grüßen. Man kennt und schätzt sich. Aus vielen Häusern dringt der Lärm von Maschinen. Es wird mit Hochdruck saniert. Öffnet man die Türen und sieht hinter die ansehnlichen Fassaden, findet man meistens nur noch den Rohbau vor, provisorisch möbliert mit dem Allernötigsten, was zum Leben gebraucht wird.

 

36 Stunden Wasser in den Häusern

Bevor man überhaupt anfangen kann etwas wiederherzurichten, muss die Bausubstanz trocken werden. „Das Wasser stand oft bis zu 36 Stunden in den Häusern. Die Leute haben sich also mit ihren Habseligkeiten in die Obergeschosse zurückgezogen. Oben wird gelebt, unten saniert – und das oft noch für lange Zeit“, berichtet Aust, der seit der verhängnisvollen Nacht den Einsatz vor Ort organisiert. Steht jetzt der Wiederaufbau für ihn im Vordergrund, ging es anfangs darum, das nackte Leben der 167 Bewohnerinnen und Bewohner zu retten. Als die Talsperre die Regenmassen nicht mehr aufnehmen konnte und das Wehr geöffnet werden musste, schoss ohne Vorwarnung eine gewaltige Flutwelle durch den malerischen Ort. Eine totale Katastrophe mit vielen Toten drohte. Verlassen konnte sich der Afghanistan-Veteran Aust auf die Wuppertaler Katastrophenschutzeinheit des ASB. Die ehrenamtlichen Rettungskräfte waren schnell vor Ort und brachten einen ganz besonderen Helfer mit: einen geländegängigen Unimog.

„Wir fuhren teilweise nur auf Verdacht durch die Dunkelheit von der Dienststelle in Barmen bis nach Beyenburg, denn das Wasser reichte vielerorts bis weit über die Scheinwerfer.“ Sven Spies ist hauptamtlicher Rettungssanitäter und steuerte das robuste Rettungsfahrzeug an diesem Abend von Haus zu Haus, um Menschen aus den Obergeschossen über eine Steckleiter einzusammeln. So seien insgesamt ein Dutzend Leute aus ihren gefluteten Häusern gerettet worden, dazu auch einige Haustiere, berichtet der 34-Jährige. Der komplizierteste Einsatz spielte sich bei einer Patientin ab, die ganz unkonventionell nach Rücksprache mit der Feuerwehr mittels einer Schleifkopftrage gerettet wurde. „So etwas trainieren wir normalerweise nicht. Bei diesem Extremeinsatz haben wir viel improvisiert und gottseidank hat alles funktioniert. Niemand ist zu Schaden gekommen“, so Spies. Als das Wasser wieder zurückgeht, bleiben Schlamm, Unrat und bergeweise Sperrmüll zurück – und jede Menge Sorgen. Denn nach dieser „Stunde null“ benötigen die Menschen schnelle Hilfe – bis heute.

 

Unglück nicht unvermeidbar?

Der ASB-Katastrophenschutz organisiert nach dem Unglück eine Börse für Sachspenden sowie Werkzeuge, Baumaschinen und Trockengeräte. Aber am meisten benötigen die Betroffenen Geld. Viele Anträge auf Soforthilfe bei der Aktion „Deutschland Hilft“ wurden vom ASB geprüft und bearbeitet. Zusätzlich konnten die Beyenburger auch einen Energiekostenzuschuss beantragen, denn die Trockner sind Stromfresser. Christopher Katz steuert die Bearbeitung der Anfragen. „Jetzt nach einem halben Jahr hat sich das Thema Soforthilfen allmählich erledigt und wir gehen in die nächste Phase über“, so Katz.“ Die Anfragen würden weniger werden, aber dennoch gebe es noch genug zu tun. Fördergelder beim Land beantragen, Material beschaffen, Handwerker finden, anpacken, aber auch die seelischen Schäden gelte es zu heilen, so Katz, der glaubt, dass es noch lange Zeit jede Menge Hilfsbedarf gebe. Besonders die Beantragung der Fördergelder gestaltet sich für viele problematisch, da die Menschen an der Komplexität der Formulare verzweifelten, klagt Andreas Bialas, SPD-Landtagsabgeordneter und Bezirksbürgermeister von Langerfeld-Beyenburg. Vor Ort unterstütze nur die Caritas für wenige Stunden in der Woche die Bewohner beim Ausfüllen. Doch nicht nur die stockende Fluthilfe treibt den Politiker um. Auch die Fragen, wie man das Drama hätte verhindern können und was man beim nächsten Mal besser machen sollte, stellt er immer wieder auch öffentlich: „Ich glaube nicht, dass das alles unvermeidbar war“.

Zu spät und fahrlässig reagiert hätten seiner Ansicht nach der Wupperverband, der die Wupper-Talsperre habe überlaufen lassen und auch die Stadt Wuppertal selbst, die die Bevölkerung nicht gewarnt habe, als die Flutwelle anrollte. „Es kann nicht sein, dass die Leute hier auf der Straße spazieren und ihnen plötzlich unverhofft eine Welle entgegenkommt und sie in nur noch in ihre Häuser rennen können.“ Zumindest dieser Missstand sollte bald beseitigt sein. Die Stadt kündigt an, in diesem Jahr noch ein stationäres Sirenensystem installieren zu wollen. Sollte sich vorher wieder ein Katastrophenszenario wie im vergangenen Jahr abzeichnen, werde man rechtzeitig mit mobilen Sirenen warnen, so ein Sprecher der Stadt. Bialas ist das nicht genug: „Die Stadt muss sich viel mehr vor Ort hier einbringen und Präsenz zeigen, bis wirklich jeder Beyenburger geholfen wieder in einem trockenen Zuhause wohnen kann.“